Warum brechen Weisheitszähne so spät durch?

Wie der Körper das Timing für das Weisheitszahn-Wachstum steuert, lag lange im Dunkeln. Eine US-Studie hat nun neue Erkenntnisse dazu erbracht.

Es ist eines der großen Rätsel der Biologie: Wie synchronisiert der menschliche Körper den Durchbruch der Weisheitszähne mit der jeweiligen Lebensgeschichte? Forscher des Institute of Human Origins an der University of Arizona haben Antworten darauf gesucht, indem sie die Entwicklung von Primaten- und Menschenschädeln in Hinsicht auf die erwachsenen Backenzähne nachverfolgten.

Von 21 Primatenarten wurden 3D-Modelle der Kiefer erstellt und verglichen. Die Backenzähne treten beispielsweise bei Schimpansen im Alter von 3, 6 und 12 Jahren auf, beim Gelben Pavian nach spätestens sieben Jahren. „Beim Menschen zeigen sich die erwachsenen Zähne nach ungefähr 6, 12 und 18 Jahren“, erläutert der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg Dr. Igor Stojanovski von der ParkPraxis in Berlin-Friedrichshain, „wobei die Weisheitszähne auch schon mal bei 16-Jährigen oder erst im Alter von 21 Jahren durchbrechen.“

Was die US-Forscher bei ihrem Abgleich menschlicher Schädel mit denen von Primaten herausgefunden haben, bestätigt eine verbreitete Hypothese: Die Platzverhältnisse im Mund sind ausschlaggebend dafür, wann Weisheitszähne hervortreten.

Empfindliche Biomechanik des Kiefers
Studien-Co-Autor Gary Schwartz fasst es so zusammen: „Es hat sich herausgestellt, dass unsere Kiefer sehr langsam wachsen, was wahrscheinlich auf unsere insgesamt langsame Lebensgeschichte zurückzuführen ist. In Kombination mit unseren kurzen Gesichtern verzögert sich der Zeitpunkt, an dem ein mechanisch sicherer Platz – oder ein ‚Sweet Spot‘, wenn man so will – zur Verfügung steht, was zu unserem sehr späten Alter beim Durchbruch der Backenzähne führt.“

Die Biomechanik der Kiefergelenke ist sehr sensibel und würde aus der Balance geraten, wenn die Weisheitszähne zu früh erschienen. Nach dem „Modell der eingeschränkten Ebene“ könnten Ober- und Unterkiefer dann nicht mehr akkurat aufeinander aufsetzen, was nicht nur das Kauen erschweren, sondern auch zu Schädigungen und Schmerzen führen kann.

Die Forscher versprechen sich von ihren Erkenntnissen Ansätze für eine „neue Möglichkeit zur Beurteilung von Zahnproblemen wie zum Beispiel retinierten Backenzähnen“. In jedem Fall werfen sie ein erneutes Schlaglicht auf einen faszinierenden Regulierungsmechanismus der Natur.