Eine der voluminösesten Studien zu den Effekten kieferorthopädischer Gebissanomalien wurde kürzlich abgeschlossen – und zeigt auf, warum Fehlstellungen behoben werden sollten.
Über Sinn und Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen wird seit Jahren hitzig debattiert. Kritiker monieren, dass sich Fehlstellungen im Laufe des Jugendalters häufig auch ohne Eingriffe „auswachsen“ (Spontanheilung). Zur Klärung trägt unter anderem eine 2020 initiierte und nunmehr beendete Großstudie namens EFAFU bei, die an der Universität Greifswald angesiedelt war und sich den langfristigen Effekten von Gebissfehlstellungen auf Zahngesundheit und Lebensqualität widmete.
Dabei ausgewertete zahnmedizinische Daten von 1.200 Probanden reichen mehr als zwei Jahrzehnte zurück, hinzu kamen 3D-Oralscans von 1.500 Erwachsenen und kieferorthopädische Befunde von 5.500 Kindern und Jugendlichen. Nur wenige Studien mit ähnlichem Fokus konnten bisher auf eine vergleichbar üppige Datenbasis zurückgreifen. Neben Human- und Zahnmedizinern waren auch Statistiker an der Analyse beteiligt.
Mehr Karies und Zahnverlust, geringere Kaueffizienz
Im Ergebnis belegen die Greifswalder Forscher, dass kieferorthopädische Fehlstellungen das Risiko für Karies und Zahnverlust signifikant erhöhen und die Kaueffizienz reduzieren. Und darunter leidet am Ende die Lebensqualität: Von Fehlstellungen Betroffene fühlen sich aufgrund von Schmerzen, vor allem beim Kauen, sowie von Limitationen bei der Nahrungsmittelauswahl weniger gut.
Des Weiteren weisen die Autoren auf Schwächen des in Deutschland maßgeblichen kieferorthopädischen Diagnosesystems hin, das die Patienten in elf Indikationsgruppen (KIG) einteilt. Es führe bisweilen dazu, dass ein vorliegender Behandlungsbedarf nicht erkannt werde, während in manchen anderen Fällen Therapien verordnet würden, die nicht nötig seien. „Im Grunde bedarf es einer individuellen Diagnostik mit präzisen Analysen wie Röntgenbildern, Vermessungen von Kopf und Kiefer oder Funktionstests zum Kauen, Schlucken, Sprechen oder Atmen“, hebt Prof. Karl-Friedrich Krey, Direktor der Greifswalder Poliklinik für Kieferorthopädie, hervor.
Der (nicht an der Studie beteiligte) Mund-Kiefer-Gesichtschirurg Dr. Igor Stojanovski von der ParkPraxis in Berlin-Friedrichshain, der unter anderem auf die operative Korrektur schwerer Kieferfehlstellungen spezialisiert ist, warnt ebenfalls davor, das Risiko von Gebissanomalien zu unterschätzen. „Es geht nicht nur und nicht in erster Linie um eine kosmetische Optimierung, sondern um die langfristige Zahngesundheit und Kaufähigkeit.“