An „Kreidezähnen“ tragen die Eltern keine Schuld

Die mysteriöse Zahnschmelz-Erkrankung MIH macht Kinderzähne porös, bis hin zum Komplettverlust. Belegt ist: Auf mangelnde Mundhygiene geht sie nicht zurück. Der aktuelle Barmer Zahnreport rückt Antibiotika als mögliche Auslöser in den Fokus.

Es beginnt mit Verfärbungen des Zahnschmelzes, gelblich bis bräunlich und zunächst nur unschön. Schon bald nimmt aber die Empfindlichkeit der betroffenen Schneide- oder Backenzähne zu, der Zahnschmelz verliert an Festigkeit und Härte. Schließlich kommt es zum Verlust von Zahnarealen, in manchen Fällen ist sogar der gesamte Zahn nicht mehr zu retten.

Für die Kinder, die unter Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – im Volksmund „Kreidezähne“ genannt – leiden, bedeutet die Erkrankung eine tagtägliche Qual. Das Zähneputzen, das nun noch wichtiger ist als ohnehin schon, geht mit beträchtlichen Schmerzen einher. Auch der Genuss von Getränken oder Nahrungsmitteln kann unangenehm werden.

Prophylaktisch lässt sich bisher gegen MIH wenig ausrichten. Die bisherigen Therapiemaßnahmen greifen nur auf symptomatischer Ebene: Ersatz verlorener bzw. geschädigter Zahnsubstanz und Kariesprävention durch Fluoridierung. Umso fieberhafter arbeitet die Wissenschaft an der Ursachenforschung, um MIH schon an der Entstehung hindern zu können.

Sind in den ersten Lebensjahren eingenommene Antibiotika verantwortlich?
„Was haben wir bloß falsch gemacht?“, fragen sich viele der Eltern MIH-erkrankter Kinder. „Haben wir bei der Mundhygiene gepatzt?“ Diese letztere Frage kann verneint werden. Denn die betroffenen Zähne brechen bereits mit der Erkrankung durch. Ob Eltern auf andere Weise das MIH-Risiko ihrer Kinder senken können, ist noch Gegenstand der Forschung.

Zusammenhänge zwischen „Kreidezähnen“ und Antibiotika-Einnahme sind jedenfalls belegt. In dieses Horn bläst auch der Barmer Zahnreport 2021, der kürzlich unter dem Titel „Kreidezähne – Sind Antibiotika die Ursache?“ erschien. Wie die Barmer-Analysten herausfanden, wurden MIH-erkrankten Kindern bis zu ihrem vierten Geburtstag „häufig angewendete Antibiotika bis zu etwa zehn Prozent mehr verschrieben“ als Kindern ohne MIH. Sollten Eltern von Kleinkindern also Antibiotika ablehnen, um keine spätere MIH zu riskieren?

Das wiederum gibt die Studienlage auch nicht her. Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, weist darauf hin, dass es noch unklar sei, „wie dieses Zusammenwirken genau funktioniert“. Überdies warnen die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) als Reaktion auf den Barmer Zahnreport vor einer vorschnellen Aburteilung des frühkindlichen Antibiotika-Einsatzes. Zwar gebe es Zusammenhänge, doch die bestünden auch zwischen MIH und anderen potenziellen Auslösern, von Bisphenol A in Plastikprodukten über Infektionskrankheiten bis hin zu Vitamin-D-Mangel. Klar ist: Weitere Forschung ist dringend nötig.