Knochen sollen bald direkt im Körper nachwachsen

Ein neues Forschungsgroßprojekt soll die „Züchtung“ von Eigenknochen direkt an der Stelle des Defekts zur Anwendungsreife bringen. Das wäre vor allem im Gesichtsbereich ein Riesenfortschritt.

Weist der Gesichtsschädel Knochenschäden auf, stellt das die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie oftmals vor Herausforderungen. „In aller Regel werden die Defekte mit Knochentransplantaten behoben, die dem Körper des Patienten entnommen werden, zum Beispiel dem Beckenknochen. Das stellt nicht nur eine je nach Fall mehr oder weniger große Belastung für den betroffenen Patienten dar. Das Ergebnis bleibt häufig auch hinter der Funktionalität und der Ästhetik zurück, die natürliches Knochengewebe bietet“, erläutert der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg Dr. Igor Stojanovski von der ParkPraxis in Berlin-Friedrichshain.

Was natürliches Knochengewebe kann, kann nur natürliches Knochengewebe – so könnte man das Dilemma auf den Punkt bringen. Nun aber zeichnet sich ein Ausweg ab: Das Großprojekt „HybridBone“ soll binnen drei Jahren das lang ersehnte Ziel verwirklichen, Knochen direkt im Körper an der betroffenen Stelle nachzuzüchten. Beteiligt sind die Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Uniklinik Schleswig-Holstein, Campus Kiel, die Medizinische Fakultät der Christians-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), die Unikliniken Rostock und Leipzig sowie das in Dresden ansässige Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien.

Kiel ist spätestens seit 2006 für bahnbrechende Forschung auf dem Gebiet bekannt: In der Rückenmuskulatur eines Patienten ließen dortige MKG-Chirurgen damals einen Unterkieferknochen heranwachsen, der anschließend an die geschädigte Stelle transplantiert wurde. Zehn Jahre später gelang die Züchtung von Eigenknochen im Bauchraum zweier Patienten.

Knochenkeramik wird abgebaut, eigenes Gewebe aufgebaut
„Unser Ansatz ist die Kombination von Knochenersatzmaterialien und Wachstumsfaktoren, die in den Patienten implantiert werden. Im Körper bildet sich daraus Knochengewebe aus, das auch durchblutet ist“, bringt Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang von der CAU den Ansatz auf den Punkt. Am Anfang der geplanten Therapie steht die digitale Erstellung eines Modells für die Auffüllung des Defekts. Dieses wird dann mit einem 3D-Drucker hybrid ausgedruckt: zum einen mit einer tragenden Gitterstruktur, zum anderen mit einer Knochenkeramik.

Und die hat es in sich: Enthaltene Wachstumsfaktoren sollen das Knochenwachstum ankurbeln, während die Keramik im Laufe der Zeit abgebaut wird. So wird künstliches durch natürliches Knochenmaterial ersetzt, das mit der Gitterstruktur verwächst. Das Ergebnis soll funktional wie ästhetisch kaum von körpereigenem Knochengewebe zu unterscheiden sein.

Ist das Projekt erfolgreich, rechnen die Forscher auch mit weiteren Anwendungsbereichen neben dem Gesichtsschädel, etwa an der Wirbelsäule. Der Therapie von Knochendefekten könnte mithin eine Revolution bevorstehen.